Page 30 - Sommerpfarrbrief 2014
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Z Zu um m F Fe es st tt ta ag g M Ma ar ri iä ä H Hi im mm me el lf fa ah hr rt t „… und Maria konnte kaum lesen …“ Mitten in der Ferienzeit im Hochsommer feiern wir einen „typisch katholischen“ Feiertag, Mariä Himmelfahrt, oder wie es offiziell heißt: Mariä Aufnahme in den Himmel. Wenn wir uns nach dem Brauch orientieren, an diesem Fest Kräuter- büschel zu segnen, entdecken wir, dass es ursprünglich ein Erntedankfest war, an dem man als Dank für die (zweite) Ernte des Jahres einige ihrer Ergebnisse vor Gott brachte. Schöne Geschichten um dieses Thema herum deuten die 40 „Kräuter“ dann als Zeichen für die Fülle des Lebens, die Maria allen anderen Menschen voraus schon erreicht habe. Vielen Menschen ist dies eine Lebenshilfe, sich vorzustellen, dass auch jede(r) von uns diese himmlische Herrlichkeit erreichen wird. Anderen ist das viel zu wuchtig und bombastisch. Sie halten sich lieber an die Frau, von der die Evangelien berich- ten. So hat es auch ein Zeitgenosse, der evangelisch-reformierte Pfarrer und Dichter Kurt Marti getan. In eindrucksvollen Texten lässt er Maria ratlos von den Altären blicken, auf die man sie, das einfache Mädchen aus Israel, die „kleine Tochter Gottes“, gehoben hat. So kommt er der Lebensrealität Marias wohl sehr nahe. Er beschreibt, dass sie sich ratlos und überfordert fühlt von den Hilferufen, die ihr entgegen kommen, und dass sie ganz verstört ist von dem „blasphemischen Kniefall von Potentaten und Schergen, gegen die sie in ihrem Lied, dem ´Magnificat`, ange- sungen hat voll Hoffnung“. Der große Reformator Martin Luther hat dieses Lied interpretiert und es einem Politiker seiner Zeit als Wegweisung und Orientierung dringend empfohlen. Denn für die Mächtigen hält dieser Gesang Mariens bedrohliche Worte bereit: „… er (Gott) stürzt sie vom Thron … und er lässt die Reichen leer ausgehn“. Und umge- kehrt gibt dieser Gott den Armen und Schwachen eine Chance: „die Armen erfüllt er mit Gütern … und die Niedrigen erhöht er …“ Solche Sätze (aus alttestamentlichen Zitaten zusammengesetzt), die der Evangelist Maria in den Mund legt, sind auch ein Protest gegen immer noch eklatant unge- rechte Verhältnisse in unserer Welt, wo Reiche die Armen ausbeuten, oder gegen eine ungerechte Verteilung der Güter auch in unserem Land, in dem die Vermö- gensschere immer weiter auseinanderklafft. Solche Themen aus dem Mund Marias lassen es nicht mehr zu, sie – wie die Kunst es oft genug getan hat – in blasse oder auch prunkvolle Gewänder zu hüllen oder ihr kitschig-schmeichelnde Lieder zu singen. Sie ist vielmehr – soweit wir überhaupt Details wissen - als realistische Frau mit einer nicht ganz einfachen Lebensgeschich- te ernst zu nehmen – und ist gerade in ihrer Bereitschaft, sich auf Gott einzulassen, ein Modell für Christen mitten in der Welt, die glaubend den guten Weg suchen. Dr. Franz Gasteiger, Pfarrer Pfarrbrief Pfarrverband Neuching-Ottenhofen August / September 2014 Seite 30